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RhodomanologiaDas poetische Werk von Lorenz Rhodoman bis 1588
Dekorationselement: Rhodomans Hände schreiben auf einem Blatt Papier.

Sacheinführung

I. Wer war Lorenz Rhodoman?

Lorenz (Laurentius; Λαυρέντιος) Rhodoman (Rhodomanus, Rhodomannus; Ῥοδομάν, Ῥοδόμαννος) war ein protestantischer Dichter und Gelehrter des ausgehenden 16. Jahrhunderts. Von anderen Dichtern der Zeit hebt er sich durch seine umfangreichen und auch qualitativ hochanspruchsvollen altgriechischen Dichtungen hervor. Neben die griechischen Gedichte – und teilweise parallel zu ihnen – treten ferner etliche lateinische und gelegentlich auch kleinere deutschsprachige. Außerdem ist er philologisch als Übersetzer (und Herausgeber) mehrerer griechischer Prosawerke (Trojarede des Dion von Prusa, Agatharchides, Memnon, Diodorus Siculus) und des Epos Posthomerica von Quintus Smyrnaeus bedeutsam.

Aus einfachen Verhältnissen stammend ist er geprägt worden durch seine schulische Ausbildung am Altstädtischen Gymnasium in Magdeburg unter Siegfried Sack und besonders ab 1562 in der Klosterschule Ilfeld unter Michael Neander. Nach einer kurzen Zeit als Prinzenerzieher in Harburg studierte er 1571 in Rostock(1) und erwarb dort den Magistergrad.(2) Anschließend war er Schulrektor in Schwerin, Lüneburg und Walkenried, bevor er zunächst als Professor für Griechisch und Latein an die Universität Jena(3) und schließlich – unterbrochen durch ein weiteres Schulrektorat in Stralsund – als Geschichtsprofessor an die Universität Wittenberg(4) berufen worden ist, wo er Anfang 1606 verstarb.(5)

II. Rhodomans Zeit und seine Sicht darauf

Rhodoman hat mehrere autobiographische Texte veröffentlicht. Besonders markant ist die griechisch-lateinische Doppeldichtung Bioporikon (Rhod. Biop.), in der er sein Leben poetisch von der Geburt bis ins Jahr 1582 darstellt, und das lateinische Aspastikon (Rhod. Asp.), mit dem er sich 1598 von Jena verabschiedet und seine neue Wirkungsstätte Stralsund begrüßt.

Im Bioporikon verbindet Rhodoman wichtige Stationen seines Lebens mit zentralen Ereignissen der politischen Geschichte seiner Zeit. Diese war zwar im Inneren des Heiligen Römischen Reiches weitgehend von Frieden bestimmt, nährte aber zugleich die Konflikte, die später im Dreißigjährigen Krieg eskalierten. Signifikant dafür ist, dass Rhodoman seine Geburt mit dem Tod Luthers verknüpft, was lange Zeit für Verwirrung hinsichtlich seines Geburtsjahres geführt hat.(6) In der Tat sorgte der Tod Luthers für Streit im protestantischen Lager über die richtige Auslegung seines Erbes. Hierbei geht es vor allem um die Beziehung zum Calvinismus, der sich unter anderem im niederschlug. Luther ist daher von Rhodoman auch mehrfach poetisch behandelt worden, vor allem in der dorischen Totenklage (Rhod. Luth.Dor.) und im Lutherus (Rhod. Luth. 1). Vor diesem Hintergrund sind sicherlich auch die großen theologischen Lehrgedichte Theologia christiana (Rhod. Theol.Christ.) und Theologiae christianae tirocinia zu betrachten. Rhodoman unterstreicht seine eigene Orthodoxie, indem er in den Lutherus sein persönliches Bekenntnis zur Confessio Augustana (Rhod. Luth. 1,1345–1347) und in sein Iter Lipsicum ein Lob der (in Kloster Berge bei Magdeburg ausgehandelten) Konkordienformel (Rhod. It.Lips. 183–185).

Eine für Rhodoman prägende Erscheinung der Zeit war außerdem die . Ihr ist laut Bioporikon im Jahr 1551 sein Vater Valten/Valentin(7) zum Opfer gefallen, als Rhodoman 5 bis 6 Jahre alt war (Rhod. Biop. 68–75). Ferner erwähnt Rhodoman die Krankheit mehrfach in seinem Reisegedicht Iter Lipsicum aus dem Jahr 1581 (Rhod. It.Lips. 195.215–218.370). Hier wird er wegen der grassierenden Pest u.a. daran gehindert, die Stadt Halle an der Saale zu betreten (Rhod. It.Lips. 314–318).

sind auch sonst allgegenwärtig in Rhodomans Dichtung und Lebenswelt. Zwei Töchter verliert er im Kindesalter (Rhod. Biop. 207) , seine erste Ehefrau Adelheid stirbt kurz vor ihm im Jahr 1603. Vielleicht hat auch sein Sohn Nikolaus, der wie sein Vater zum poeta laureatus gekrönt worden ist, ihn nicht oder nur kurze Zeit überlebt. Nicht wenige seiner Trauergedichte gelten jungen Personen, so etwa die Gedichte auf den 17-jährigen Rostocker Kommilitonen Hermann Carstens (Rhod. Carst. 1–2), den Lüneburger Schüler Georg Reuscher (Rhod. Inscr.Reusch.), den 3-jährigen Volkmar Wolfgang d. J. von Honstein (Rhod. Inscr.Volc.iun.), die nur drei Monate alte Elisabeth von Honstein (Rhod. Inscr.Elisab.), den 20-jährigen Jenaer Studenten Christoph zu Solms (Rhod. Solm.), den 24-jährigen Wittenberger Studenten Johann Mönchmeier (Rhod. Monch.) und dem 32-jährigen Heinrich Posselius (Rhod. Poss.).

Neben dem christlichen Glauben ist zentraler Orientierungsrahmen für Rhodoman seine Sie wird häufig als Musenkult stilisiert, wobei die Musen stellvertretend für die artes liberales stehen. Davon sind auch seine literarischen Freundschaften geprägt. Freunde aus der Ilfelder Zeit sind Jan Steinmetz(8) und Matthaeus Gothus.(9) Lebenslange Verbindungen bestehen ferner zu seinen Lehrern Michael Neander, David Chytraeus und Johannes Caselius. Zu weiteren seiner bekannten Korrespondenzpartner gehören u.a. der Tübinger Gräzist Martin Crusius, die Leidener Koryphäe Joseph Justus Scaliger und der Dichter Nicodemus Frischlin.

Als Hindernisse zur Erreichung seiner literarischen Ambitionen erscheinen dagegen häufig Rhodomans (bspw. Rhod. Biop. 84–86. 244f.; Rhod. Frei. 22–24; Rhod. Asp. 122), (bspw. Rhod. Coc.Ion. 1,14–35; Rhod. Asp. 77–83) oder auch die (bspw. Rhod. Ep.Crus. 2,88f.; Rhod. Ep.Crus. 3,20–24; Rhod. Frei. 18–21).

III. Rhodomans poetisches Werk

Neben einer Vielzahl von zeittypischen Gelegenheitsdichtungen zeichnet sich Rhodomans poetisches Werk vor allem durch mehrere größere griechische bzw. griechisch-lateinische Hexameterdichtungen aus. Sie gelten vor allem drei zentralen Themenfeldern: Bibelkunde, Theologie und griechischer Mythologie.

Zwischen und Historiographie bewegt sich die 9 Bücher umfassende Palaestina (1589), ein griechisch-lateinisches Doppelgedicht über die Geschichte des Heiligen Landes von der Schöpfung bis in Rhodomans eigene Zeit. Die Geschichte Israels von der Schöpfung bis zur Zerstörung Jerusalems ist ebenfalls Gegenstand der Historia ecclesiae (1581) (Rhod. Hist.eccl.).

Mit befassen sich die drei Dichtungen Lutherus (1579) (Rhod. Luth. 1–2), Theologiae christianae tirocinia (1596) und die nur in Manuskriptform überlieferte monumentale Theologia christiana (Rhod. Theol.Christ.). Hinzu kommt die stärker poetisch-lyrische Totenklage um Luther (1573).

Der gelten die Gedichte Argonautica, Thebaica, Troica und Ilias parva (1588). Die letzteren Gedichte haben zugleich die Funktion einer Einführung in die griechische Epik (und Dramatik) der Antike, besonders die Troica und die Ilias parva, welche später nochmals als Beigaben zu Rhodomans Ausgabe von Quintus Smyrnaeus erschienen sind (1604). Ähnlich einführende Funktion haben die längeren Widmungsgedichte zur Teilausgabe des Quintus an Bischof Eberhard von Holle (1577) und zur Ausgabe von Dions Trojarede an Graf Ernst VII. von Hohnstein (1585).

Eine Sonderstellung nimmt das dorische Epyllion ein, in dem ein Stoff aus dem griechischen Historiker Herodot (Hdt. 1,23f.) mit der Verführung Ledas durch Zeus verwoben worden ist.

Sehr bedauerlich ist der , darunter das mythologische Vaticinium Nerei marini, welches offensichtlich in Anlehnung an eine horazische Ode (Hor. carm. 1,15) die Prophetie des Nereus über den Trojanischen Krieg beim Raub der Helena durch Paris zum Gegenstand hatte, und die wohl eher historischen Gedichte Mithridates und Germanis, letzteres offensichtlich eine Geschichte der Deutschen, die in der Reformation und dem durch sie inaugurierten „Goldenen Zeitalter“ münden sollte.

Eine weiteres Themenfeld umfasst längere Gedichte zur Hier sind vor allem die Ilfelda Hercynica (1581), der Hymnus scholasticus (1585) und das Melos protreptikon zu nennen. Diese Gedichte weisen alle einen direkten Bezug zu Rhodomans Ilfelder Lehrer Michael Neander auf.

III.1. Charakterisierung der Schaffensphasen bis 1588

a) Ilfelder Zeit (1562–1567/68)

Nach Schulbesuchen in Nordhausen, Ellrich und Magdeburg(10) ist Rhodoman 1562 im Alter von 16/17 Jahren als Stipendiat in der Klosterschule Ilfeld aufgenommen worden. Im Bioporikon berichtet er davon, wie ihn Michael Neander in dieser Zeit in die griechische Literatur und Dichtung eingeführt hat. Als wichtigste griechische Autoren, die er zu dieser Zeit gelesen habe, nennt er Homer, Hesiod, Theokrit, Oppian, Pindar, Nonnos (Johannes-Paraphrase), Gregor von Nazianz und Herodot (Rhod. Biop. 158–164).

Viele größere Dichtungen Rhodomans haben ihren Ursprung in Ilfeld bzw. verdanken ihre Anregung Michael Neander. Dazu gehört explizit die monumentale Theologia christiana (Rhod. Theol.Christ.), an der Rhodoman nochmals in seiner Lüneburger Zeit gearbeitet hat, und die Palaestina, die er erst in Walkenried fertigstellte. Mehrfach bezeugt ist auch ein verschollener Basler Frühdruck des dorischen Epyllions Arion (Rhod. Arion), der zusammen mit einem ebenfalls gänzlich verschollenen Vaticinium Nerei marini (Rhod. Vat.Ner.) bei Johannes Oporinus um 1567 erschienen sein muss.(11)

Der einzig erhaltene zeitgenössische Druck mit Dichtungen aus Rhodomans Ilfelder Zeit ist eine lateinische Jonas-Paraphrase seines Kommilitonen Georg Cocus, der zwei Gedichte Rhodomans beigegeben sind (Rhod. Coc.Ion. 1–2). Das erste ist ein längeres lateinisches Werbegedicht für Cocus und Rhodoman selbst, in dem er um finanzielle Unterstützung durch die Stolberger Grafen für seine Großprojekte Palaestina und Theologia christiana wirbt (Rhod. Coc.Ion. 1,160–172). Das zweite ist ein Genesungs- und Empfehlungsgedicht für Georg Aemilius.

b) Harburger Zeit

Ab 1568 ist Rhodoman am Hof von Otto II. von Braunschweig-Harburg als Erzieher von dessen Söhnen tätig.(12) Er bemüht sich um humanistische Kontakte, indem er sich etwa brieflich dem Hamburger Theologen Joachim Westphal vorstellt und ihn zu seiner Hochzeit mit einer verwitweten Bediensteten (Adelheid) am Harburger Hof einlädt (siehe Epist. (1570-10-11) Rhod./Westph.). Die Hochzeit findet laut Brief am 15. Oktober 1570 statt. Zu diesem Zeitpunkt plant Rhodoman schon seinen Weggang und sein Studium in Rostock, da sich wohl das ursprüngliche Ansinnen, Ottos Söhne zum Studium nach Straßburg zu begleiten, zerschlagen hat. Ferner knüpft er Kontakte nach Lüneburg zu Lukas Lossius(13) und Thomas Mauer/Mawer. Erhalten hat sich über eine Gedichtsammlung Mawers Rhodomans poetische Freundschaftsanfrage an ihn (Rhod. Mau.) vom September 1569, die Mawer später zusammen mit seiner poetischen Antwort (Mau. Rhod.) veröffentlichte.

Interessant ist die sehr unterschiedliche Bewertung der Harburger Zeit in dem Briefgedicht an Mawer und dem späteren Abschiedsgedicht an den Harburger Hofmarschall Andreas Saurer (Rhod. Carm. 2), mit dem Rhodoman offensichtlich ebenso eine Freundschaft verband wie mit dem Harburger Pfarrer Heino Diepenbruch, dem er schon von Rostock aus mit einer Gedichtpublikation zu dessen Hochzeit gratulierte (Rhod. Carm. 1).(14)

c) Rostocker Zeit (Februar 1571 bis September 1571)

1571 studiert Rhodoman auf eigene Kosten in Rostock, wo er nach kurzer Zeit mit der Magisterpromotion den höchsten Grad an der Artistenfakultät erwirbt und sich auf diese Weise für Rektorenposten empfiehlt (Rhod. Biop. 209–214). In engem Zusammenhang mit seinem Studium steht das kunstvolle Paramythikon epos (Rhod. Par.Chytr.), ein griechisches Trostgedicht für seinen akademischen Lehrer und Patron David Chytraeus aus Anlass des Todes von dessen Ehefrau Margaretha, ferner zwei griechische Trauergedichte für den verstorbenen Kommilitonen Hermann Carstens (Rhod. Carst. 1–2) sowie ein griechisches Hochzeitsgedicht für den Rostocker Professor Johannes Caselius (Rhod. Nupt.Cas.), mit dem Rhodoman bis an sein Lebensende verbunden sein sollte.

d) Schweriner Zeit (Michaelis 1571 bis Michaelis 1572)

Nachdem David Chytraeus im September offensichtlich erfolglos für ein Rektorat Rhodomans in Greifswald geworben hat,(15) ist Rhodoman kurz darauf Rektor in Schwerin (Rhod. Biop. 225–228). Aus dieser Zeit hat sich nur ein fragmentarisch überliefertes Inschriftenepigramm für den Schweriner Hofprediger Martin Burggraf (Rhod. Inscr.Burgg.) erhalten.

e) Lüneburger Zeit (Oktober 1572 bis mind. Juli 1584)

Länger und prägender war dann Rhodomans Rektorat an der Michaelisschule in Lüneburg, wohin er schon von Harburg aus Kontakte zu Lossius und Mawer (siehe oben) aufgenommen hatte. In seiner Totenrede auf den bereits 1575 verstorbenen Mawer berichtet Rhodoman über die freundschaftliche Aufnahme und Unterstützung durch ihn in der Stadt. In dieser Zeit erschienen nun die ersten größeren Arbeiten, die Rhodomans Ruhm als gefeierten Griechischdichter begründen. Besonders zu nennen ist dabei das zwei Bücher umfassende griechische Lehrgedicht Lutherus (1579) sowie Rhodomans Teilausgabe der Bücher 12–14 von Quintus Smyrnaeus‘ Posthomerica (1577), zu denen er neben einem griechisch-lateinischen Widmungsgedicht an Bischof Eberhard von Holle (Rhod. Quint.praef.) auch jeweils griechisch-lateinische Periochen (Rhod. Quint.Per. 1–3) hinzufügte. Durch die Widmung beider Werke einerseits an den Rat der Stadt Lüneburg und andererseits an seinen direkten Dienstherren, den Bischof von Lübeck und Verden, Eberhard von Holle, der zugleich Abt des Michaelisklosters in Lüneburg war, zeigt sich Rhodomans Bemühen, sich das Wohlwollen der lokalen Obrigkeit zu gewinnen.

Weiterhin schloss Rhodoman in Lüneburg die Arbeit an der Theologia christiana ab, die allerdings Manuskript blieb und nicht vollständig in den Druck gelangte. Lediglich die griechisch-lateinische Ilfelda Hercynica und die Historia ecclesiae erscheinen als Auslagerungen aus diesem Projekt 1581 in separaten Drucken.

Besonders bemerkenswert sind ferner: die (wie der Arion) im dorischen Dialekt gehaltene Totenklage um Luther (Rhod. Luth.Dor.), die 1573 als Beigabe zu einer poetischen Katechismusparaphrase des Ilfelder Schülers Johannes Martin erscheint und Luther als bukolischen Sänger in Anschluss an den hellenistischen Epitaphios Bionos betrautert;(16) das Iter Lipsicum (Rhod. It.Lips.), ein lateinisches Reisegedicht in der Tradition des Horaz über eine Reise mit dem befreundeten Lüneburger Apotheker Andreas Lemmel von Lüneburg nach Leipzig und zurück, sowie schließlich eine Reihe poetischer Briefe (Rhod. Ep.Crus. 1, Rhod. Ep.Crus. 2, Rhod. Ep.Crus. 3) einschließlich der Autobiographie Bioporikon (Rhod. Biop.) an den Tübinger Philhellenisten Martin Crusius, welche dieser 1585 zusammen in seiner monumentalen Germanograecia veröffentlichte.(17)

Mit der Autobiographie von 1582 hat sich Rhodoman ein dauerhaftes Denkmal gesetzt und endgültig in die res publica litterarum eingeschrieben. Einen interessanten Einblick in Rhodomans Privatleben gestattet der zweite von Rhodomans Briefen an Crusius, in dem er seinen Garten unmittelbar bei seinem Wohnhaus schildert. Wenn die Liste der Pflanzen auch stark literarisiert ist, ist an der Gartenliebe wohl nicht zu zweifeln.

Von den kleineren Gelegenheitsdichtungen sind noch das griechisch-lateinische Hochzeitsgedicht für seinen Ilfelder Freund Jan Steinmetz (Rhod. Steinm.) und das griechisch-lateinische Philikon epos für den Historiker Reiner Reineccius (Rhod. Phil.Rein.) erwähnenswert.

f) Walkenrieder Zeit (1584 bis 1591/92)

Die poetischen Briefe an Crusius scheinen eine gewisse Unzufriedenheit und Isoliertheit in Lüneburg zu suggerieren. So verwundert es nicht, dass Rhodoman 1584 die Gelegenheit ergreift, wieder in unmittelbare Nähe seines verehrten Lehrers Neander in den Harz zu kommen, wohin er im Kloster Walkenried zum Rektor und Prediger berufen worden ist. Hier erscheinen nun seine bekanntesten poetischen Werke, die ihm den Ruf als „deutschen Homer“ endgültig sichern: Die 1588 anonym veröffentlichten mythologischen Gedichte Argonautica, Thebaica, Troica, Ilias parva zusammen mit einer Neuauflage des Arion und ein Jahr später auch die griechisch-lateinische Palaestina.

Zuvor veröffentlichte Rhodoman aber 1585 seine Ausgabe der Trojarede des Dion von Prusa, die er mit einem ausführlicheren Widmungsgedicht an Graf Ernst VII. von Hohnstein versah (Rhod. Dion.praef.). Dass Rhodoman Geschenkexemplare des Werkes offensichtlich auch an Freunde und Gönner verschickte, belegt das handschriftliche Widmungsgedicht eines solchen Exemplares an den damaligen Hohnstein’schen Kanzler Marcus Gerstenberger (Rhod. Gerst.).(18)

Ein weiteres größeres Werk ist der Hymnus scholasticus (Rhod. Hym.Schol.), der als Begleitgedicht zu Neanders Physice in einem Ilfeld-Preis ausläuft.

Unter den sonstigen Gedichten dieser Zeit stechen als Gruppe vor allem mehrere inschriftliche Grabgedichte für Angehörige der Familie von Hohnstein heraus (Rhod. Inscr.Volc.; Rhod. Inscr.Ann.; Rhod. Inscr.Volc.iun.), darunter auch ein rein deutschsprachiges (Rhod. Inscr.Elisab.).

Vielsagend für Rhodomans ausgeprägte Bescheidenheit sind die zwei Briefgedichte an Christoph Frey (Rhod. Frei.) und Matthaeus Gothus (Rhod. Goth.), mit denen Rhodoman auf griechische Gedichte von beiden reagierte.

III.2. Allgemeine Charakteristik von Rhodomans Dichtung

Unter III. wurden schon wichtige Themenfelder von Rhodomans größeren Hexameterdichtungen genannt. Ein vereinendes Band besteht offensichtlich in deren universalgeschichtlicher Perspektive und dem mehrfach formulierten poetischen Programm, ‚Gottgefälliges und den Menschen, vor allem Kindern, Nützliches zu dichten‘ (siehe bspw. Rhod. Biop. 153f.; Rhod. Arion 566f.).

Unter diesem pädagogischen Ziel ist auch Rhodomans besondere Vorliebe für zu betrachten. In Katalogen kann er Wissen in kurzer Form poetisch kondensieren. Markant dafür sind etwa die zahlreichen Tier- und Pflanzenkataloge in der Ilfelda Hercynica oder dem zweiten Gedichtbrief an Martin Crusius (Rhod. Ep.Crus. 2). Gleichnisse dienen dazu, mittels prägnanter Bilder Wissen und moralische Beurteilungskriterien zu vermitteln. In besonderer Weise setzt er sie dafür etwa in der Theologia christiana ein.

Virtuos ist Rhodomans zielgerichteter Einsatz von Vokabular, Stilistik und Metrik zur Untermalung der Aussage. Hervorzuheben ist hier etwa im Hexameter der bewusste Einsatz von Versen mit spondeischem fünften Versfuß (versus spondiaci), von Vier-Wort-Versen (versus tetracoli) oder Versen mit monosyllabischem Versschluss. Sie sind daher in dieser digitalen Edition besonders markiert.

Beachtlich ist ferner die große Zahl von Wortneuschöpfungen, insbesondere von Adjektivkomposita, mit denen Rhodoman seinen Gedichten ein gegenüber der Antike eigenes Gepräge verliehen hat.(19)

Mit Blick auf die Gattungen handelt es sich häufig um Mischformen, die durch Rhodomans spezifisch pädagogische Poetik bestimmt sind. Besonders signifikant ist dies etwa bei den mythologischen Gedichten Argonautica, Thebaica und Troica, die zwar inhaltlich-formal klassisch epische Themen behandeln, jedoch in der Darstellung stark von der typisch epischen Form, etwa durch den weitgehenden Verzicht auf Reden und Gleichnisse, abweichen.

Experimentell und komplex ist ferner Rhodomans Umgang mit unterschiedlichen Sprachen, Sprachregistern, Dialekten und deren Mischung.(20) Eine sehr anspruchsvolle Form stellen dabei seine griechisch-lateinischen oder lateinisch-deutschen Doppeldichtungen dar. Ein besonderer Aspekt der griechisch-lateinischen Doppelgedichte ist das intertextuelle Spiel sowohl mit griechischen als auch lateinischen Vorbildern. Unter den rein griechischen Gedichten bilden diejenigen im dorischen Dialekt eine besondere Gruppe, dazu zählen vor allem der Arion und die Totenklage um Luther.

Eine gewisse Experimentierfreude lässt sich vor allem ab der Jenaer Periode auch mit Blick auf die metrische Vielfalt feststellen. Hier wendet sich Rhodoman im Lateinischen verstärkt lyrischen Formen zu, während in den (erhaltenen) Gedichten bis 1588 noch Hexameter und elegisches Distichon fast ausschließlich dominieren.

IV. Rhodomans Prosa

Rhodoman hat sich nicht nur als Dichter, sondern auch als Prosaist in verschiedenen Gattungen ausprobiert. Neben die zahlreichen Briefe treten noch etliche lateinische Prosaübersetzungen sowie mehrere Reden,(21) ein Dialog (Philomusus) und ein grammatisches Lehrbuch. Der Stil ist Gattung, Kontext und Adressat jeweils angepasst. Griechische Zitate werden in den späteren Reden häufig auch übersetzt.

Rhodomans Briefe sind zum Großteil in Latein verfasst. Es gibt aber auch vereinzelte griechische Briefe (Rhod. Ep.Crus. 1; Epist. (1587-03-28) Rhod./Sidelm.) und (bisher) einen bekannten deutschen Brief Rhodomans (Epist. (1601-12-02) Rhod./Christ.). Bisweilen wechseln Verse und Prosa so oft in einem Brief, dass man von einem Prosimetrum sprechen muss (Rhod. Ep.Crus. 1).

V. Besonderheiten von Rhodomans Orthographie und Sprachgebrauch

V.1. Griechisch

a) Akzentuierung

Bei bestimmten griechischen Begriffen fällt eine vom heutigen Usus (Referenzquelle: LSJ) abweichende Akzentuierung auf:

b) Aspiration

c) Iota subscriptum

d) Zusammen-/Getrenntschreibung

e) Grammatik

  • häufiger findet sich Konjunktiv an Stellen, wo man einen Optativ erwarten würde (bspw. Rhod. Il.parv.Hom. 4,41 τίς κ’ ἄλλους ἐνέπῃ)(26)
  • Rhodoman verwendet das Aktiv des antik nur als Deponens belegten ἐντροπαλίζομαι (Rhod. Arion 1064) (27)

V.2. Lateinisch

VI. Rhodoman im Urteil seiner Zeitgenossen und der Nachwelt

Spätestens seit Veröffentlichung der mythologischen Sammlung Argonautica. Thebaica. Troica. Ilias parva im Jahr 1588 und der Palaestina im Jahr darauf konnte Rhodoman eine führende Rolle unter den Griechischdichtern seiner Zeit beanspruchen.

Die Sammlung von 1588 weckte offensichtlich das besondere Interesse und die Wertschätzung Joseph Justus Scaligers,(28) mit dem Rhodoman später in brieflichen Kontakt trat. Während Scaliger jedoch Rhodomans griechische Dichtungen besonders schätzte, beurteilte er dessen lateinische Dichtungen (innerhalb seines Umfeldes) weniger günstig, wie aus Äußerungen in den postum veröffentlichten Scaligeriana hervorgeht.(29)

Schon zuvor (1583) wird durch eine griechische Elegie von Christoph Frey der Rhodoman-Homer-Vergleich etabliert (Frei. Eleg. 25–30). Rhodoman selbst forciert ihn durch sein poetisches Antwortgedicht an Frey (Rhod. Frei.) und, indem er den ihn betreffenden Abschnitt aus Freys Gedicht seiner Palaestina voranstellt.(30) Im Anschluss daran greift David Chytraeus den Vergleich auf und bezeichnet die Palaestina in einem emphatischen Brief nach Erhalt des Gedichtes als Homerus Biblicus (siehe Epist. (1590-01-10) Chytr./Rhod.). Eine Sonderrolle wies auch Martin Crusius Rhodoman zu, indem er drei seiner griechischen Brief(gedicht)e und das griechisch-lateinische Bioporikon 1585 in der Germanograecia veröffentlichte und somit einerseits Rhodomans Verehrung für ihn, aber andererseits auch Rhodomans Selbstdarstellung einen prominenten Platz darbot.

Wichtige Schritte für Rhodomans weitere dauerhafte Anerkennung waren schließlich seine Professuren in Jena und Wittenberg, die Ernennung zum poeta laureatus gemeinsam mit Friedrich Taubmann durch Paul Melissus im Jahr 1593(31) sowie das Erscheinen der zwei monumentalen Ausgaben des Quintus und Diodor im Jahr 1604 kurz vor seinem Tod.

Eine erste große Würdigungsschrift war nach seinem Tod die wohl maßgeblich durch Taubmann moderierte Sammlung von Trauergedichten unter dem Titel Manes Cl(arissimi) V(iri) Laurenti Rhodomani, die nach einer Gedenkveranstaltung an der Universität 1608 in Wittenberg erschien.(32) Während die meisten Gedichte von weitgehend unbekannten Beiträgern stammen, zählen zu den wenigen prominenteren Beiträgern neben Taubmann selbst noch der mit Rhodoman befreundete Johannes Caselius, Konrad Rittershausen(33) und der erst später bekannte Caspar von Barth.

Verstärktes erneutes Interesse für Rhodoman kommt dann erst im 18. Jahrhundert auf, wo Rhodoman ausführlicher in Georg Lizels Historia poetarum Graecorum Germaniae (1730) behandelt wird (S. 154–173). Grundlage und Beginn der Rhodoman-Forschung im eigentlichen Sinn ist Karl Heinrich Langes Rhodoman-Monographie aus dem Jahr 1741.

Während die Wittenberger Rhodoman-Erinnerung nach Auflösung der Universität rasch erlischt, bleibt sie im 19. und 20. Jahrhundert noch länger im lokalen Bereich um Ilfeld, Niedersachswerfen und Nordhausen lebendig.

In einem der Schulprogramme des Pädagogiums Ilfeld veröffentlicht der Lehrer Karl Volckmar 1854 Rhodomans Ilfelda Hercynica mit kurzen Erläuterungen und einer deutschen metrischen Übertragung. Erneut mit Rhodomans Gesamtwerk befasst sich in einem lateinischen Aufsatz, der in einem Schulprogramm des Gymnasiums Nordhausen 1864 erschien, Theodor Perschmann, der dadurch als erster moderner Rhodoman-Forscher zu gelten hat. Ein kurzes Kondensat mit Rhodomans Verdiensten um die Philologie bringt nochmals Conrad Bursian in seiner „Geschichte der classischen Philologie in Deutschland“, wo er seine Leistung als Dichter folgendermaßen zusammenfasst: „Er war einer der fruchtbarsten und gewandtesten griechischen Dichter der Neuzeit, wie seine sehr zahlreichen griechischen Gedichte beweisen, in denen der theils moderne, theils antike Stoffe zwar ohne eigentlich poetischen Geist, aber mit großer Fertigkeit in der Handhabung der Form, besonders der Sprache der späteren griechischen Epiker, die er mit Vorliebe studirte, behandelt: […]“ (Bursian 1883, 235) Auch in die „Allgemeine deutsche Biographie“ findet er noch Aufnahme. Dann gerät er jedoch längere Zeit aus dem Blickfeld und wird zunächst nur noch im lokalen Umfeld wahrgenommen.

Ausschnitte aus Volckmars Ilfelda-Übersetzung werden 1962 in einer regionalen Zeitschrift unter der markanten Überschrift „Lorenz Rhodoman, der Harzhomer“ präsentiert. In Rhodomans Geburtsort Niedersachswerfen (heute: Gemeinde Harztor) lebt der Name des Gelehrten in der „Rhodomannstraße“ fort.

Eine Neubelebung und Initiierung der modernen Rhodoman-Forschung geht entscheidend von Walther Ludwig aus, der ihn zunächst kurz neben anderen Griechischdichtern in der monographischen Schrift „Hellas in Deutschland“ vorstellt(34) und dann 2014 erstmals eine deutsche Übersetzung von Rhodomans autobiographischen Gedicht Bioporikon vorlegt.

Dadurch angeregt beginnt eine verstärkte altphilologische Rhodoman-Forschung, die schließlich in dem Editionsprojekt „Rhodomanologia“ mündet.

VII. Warum eine digitale Rhodoman-Edition?

Rhodomans Ruf als „deutscher Homer“ und seine besondere Stellung als Griechischdichter in seiner Zeit geben ihm Exempelcharakter für das Phänomen von „neualtgriechischer“ Literatur in Deutschland. Zahlreiche deutsche Humanisten angefangen von Celtis, Reuchlin und Melanchthon schufen eigene Texte in altgriechischer Sprache. Zunächst handelte es sich dabei nur um kurze Epigramme und Briefe, weitete sich dann aber im Laufe des 16. Jahrhunderts zu großen epischen Texten, Reden, Traktaten und Übersetzungen aus. In der Spätrenaissance wird durch prononcierte Vertreter dieses sprachlichen Philhellenismus wie Martin Crusius, Nikolaus Reusner und Lorenz Rhodoman ein gewisser Kulminationspunkt erreicht.(35)

Um die Untersuchung dieses Phänomens auf eine neue philologische Grundlage zu stellen und auch für andere Fächer und Interessierte zu öffnen, wurde Rhodomans dichterisches Werk für eine umfassende editorische Erfassung ausgewählt.

Im Medium des Digitalen bietet sich die Möglichkeit, das Material einigermaßen vollständig aufzuarbeiten und besonders umfassend erschließbar zu machen. Die Texte können gezielt mit standardisierten Datensätzen vernetzt und in größere Textcorpora integriert werden, so dass auch in Zukunft eine gute Nachnutzung sichergestellt ist. Außerdem ist durch die Onlinepräsentation die Zugänglichkeit wesentlich vereinfacht.

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Sachanmerkungen

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